Schwarzer Tag und Weißes Haus

Der erste Morgen zurück in DC, die Stadt im Ausnahmezustand. Wegen der Schießerei auf einem Stützpunkt der US-Marine heulen noch mehr Sirenen als normal, der Flughafen ist gesperrt, die Busse fahren sporadisch. Der Weg zum Weißen Haus dauert länger als sonst. Und dort stehe ich erst einmal im Regen. Im doppelten Wortsinn. Erstens prasselt es pausenlos auf meinen Schirm. Zweitens öffnet sich die Pforte vor mir zwar regelmäßig für amerikanische Journalisten, mit meinem „Temporary Press Pass“ muss ich hingegen warten, mein Name sei im System nicht zu finden. Es scheint als bliebe der Eisenzaun um das Weiße Haus für mich heute genauso unüberwindbar wie für die nassen Touristen neben mir.

Sicherheitsmaßnahmen verschärft

Noch zwanzig Minuten, dann soll Barack Obama im South Court Auditorium sprechen, keine 50 Meter Luftlinie entfernt. Wenn die Rede wegen der Schießerei nicht abgesagt wird. Hubschrauber kreisen am grauen Himmel. Das Handy vermeldet mehrere Tote und Verletzte. Trotzdem heißt es bis jetzt, der Präsident werde vor die Kameras treten. Ein Anruf beim Press Office und die Bitte, mich zu registrieren. Ich soll warten. Okay. Es regnet stärker. Zahlreiche Polizeiwagen stehen mit blinkenden Lichtern um das Haus. Erhöhte Sicherheitsstufe. Auf einmal streckt der Securityofficer den Daumen hoch. Das Tor summt – und öffnet sich. Ich bin drin. Es ist der wohl am besten gesicherte Ort in Washington an diesem Vormittag.

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Noch zehn Minuten. Im Laufschritt begleitet mich ein Angestellter rechts am Weißen Haus vorbei ins Nebengebäude. Zu schnell, keine Zeit bleibt zum Schauen. Schon stehe ich wieder einmal mitten im Journalistenpulk. Der Raum ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Warten, Anspannung. Um 11.40 Uhr die Nachricht: Wegen der Schießerei verspätet sich Obama. Ein tiefes Seufzen neben mir. Ich drehe mich um – und lerne Daniel Levin kennen.

Eine Anekdote am Rande

DSCF2349Der Gründer und Chef der Immobilienfirma The Habitat Company ist gemeinsam mit seiner Frau (der ehemaligen US-Botschafterin in den Niederlanden) zu Gast in DC. Beide kennen die Präsidentenfamilie gut. Das erste Mal habe er bereits 1993 mit Barack Obama Basketball gespielt, sagt Levin. Seitdem gelten er und seine Frau als Unterstützer Obamas und Spendengeber für die Demokraten. Wie er denn so ist, der Präsident der Vereinigten Staaten, will ich natürlich wissen. „Extraordinary“, und seine Hunde seien „amazing“. Aha. „Vielleicht kommt er gleich kurz hoch und sagt ‚Hi'“, meint Levin. Wir werden sehen.

Obama spricht

12.30 Uhr – endlich. Die lümmelnden Reporter und Fotografen nehmen Haltung an, die Gespräche über das, was momentan außerhalb des Hauses passiert, verstummen. Plötzlich geht ein Ruck durchs Publikum, alle erheben sich. Barack Obama tritt hinter das Podium. Applaus, ein bisschen Gänsehaut. Dann spricht der Präsident und bekundet den Betroffenen der Navy-Tragödie seine Anteilnahme:

„These are men and women who were going to work, doing their job, protecting all of us. They’re patriots …“

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Video: Obama zur Navy-Schießerei

„… we will do everything in our power to make sure whoever carried out this cowardly act is held responsible …“

„… obviously, we’re going to be investigating thoroughly what happened, as we do so many of these shootings, sadly, that have happened, and do everything that we can to try to prevent them.“

Jedes Wort, jede Geste wird von eifrigem Kameraklicken begleitet. Sonst herrscht absolute Stille, viele Zuhörer sind bewegt.

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Anschließend folgt die Rede zur Lage der US-Wirtschaft fünf Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise. Perfekt inszeniert. Eine Bürgergruppe steht hinter dem Präsidenten auf der Bühne. Betroffene, die die Krise gemeistert haben, als Symbol für Obamas zum Engagement mahnende Worte. Der Präsident dominiert den Raum, fast eine halbe Stunde lang. Was er sagt, stößt bei den Umstehenden auf zustimmendes Nicken. Applaus am Ende, Obama verlässt winkend den Saal (allerdings ohne Daniel Levin zu grüßen). Das war’s.

Draußen hat es aufgehört zu regnen. Ich folge den Pressekollegen zum Ausgang, auf den Smartphones ploppen die neusten Entwicklungen vom Navy-Stützpunkt auf. Ein Täter soll tot sein, unsicher ist, ob weitere auf der Flucht sind. Noch immer fliegen Hubschrauber über der Stadt. Wir gehen am Weißen Haus vorbei, wieder auf den Zaun zu. Diesmal von der anderen Seite. Die Gedanken sind jedoch ganz woanders.

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